Freitag, 26. August 2011

Mmmmmmmuuuuuuuh!

Jaja, hier bin ich also. Letzten Samstag Abend bin ich hier angekommen, auf Bryn Tirion - Walisisch fuer Kleine Huegel. Klein ist dabei hoffnungslos untertrieben, wenn ihr mich fragt, zumindest was das hoch- und runterrennen betrifft.
Aber von Anfang an: meine Hosts heissen Kathy und Lesley und haben eine Rinderfarm mit etwa 300 Tieren, die fuer die Fleischproduktion gehalten werden. Klingt brutal, ist aber wesentlich humaner als die Milchviehhaltung, aber dazu spaeter.
Kathy hat mich von der Bushaltestelle eingesammelt. Eine Sache, die mich wirklich gestoert hat, war der intensive Geruch nach einer Mischung aus Hunden, Milchsaeure und Mist, den das Arbeiten und Leben auf der Farm wohl einfach mit sich bringt. Nach 24 Stunden konnte ich davon nichts mehr schnuppern - ich hoffe, das heisst nicht, dass ich auch so rieche :D
Erste Ueberraschung: Lesley ist ne Frau! Da Lesley auch ein Maennername sein kann und Kathy definitiv ein Frauenname ist, dachte ich, Lesley waere ihr Mann. Gut, dann sind sie eben ein lesbisches Paar, whatever. Wobei ich zugeben muss, dass ich mich schon an den Gedanken gewoehnen musste, dass zwei Frauen in ihren 50ern, die nicht besonders toll aussehen oder so, ein Paar sind. Irgendwie habe ich die weibliche Homosexualitaet immer mit huebschen, jungen Frauen in Verbindung gebracht, unbewusst. Zweite Ueberraschung: Aufstehen um 6.40 Uhr angesagt, weil die Kaelbchen frueh gefuettert werden muessen. Dritte Ueberraschung: Kathy wuerde sich am naechsten Morgen erstmal bis Mittwoch Abend verabschieden, da sie immernoch als Steuerberaterin arbeitet und dafuer nach Christchurch musste.
Also, erster Tag: Aufstehen um 6.40 Uhr, Fuehstueck (Porridge) um 7.00 Uhr, 7.30 Uhr Kaelber fuettern. Das ist deutlich weniger romantisch, als man sich das so vorstellt... es hat nicht viel zu tun mit Flaeschchen und suessen, kleinen Winzlingen. Die Kaelber wiegen immerhin etwa so viel wie ich (ca. 16 Tage alt) und koennen ziemlich resolut sein... natuerlich trotzdem total niedlich! Aber man muss sich bewusst machen, dass man eher blaue Flecken von ihren hungrigen Maeulchen kriegt, als dass man ihnen wehtut. Also sicher auftreten und auch mal zurueckschubsen! ;-) Die zehn Kaelber werden an einem Feeder gefuettert, im Prinzip ein grosses Plastikdings mit Kammern und Gummizitzen dran:
Da hinein wird frische Kuhmilch gekippt, die Lesley und Kathy von der Dairy Farm nebenan bekommen. Jedes Kalb bekommt ca. 2,5l und das zweimal am Tag.
Die Kaelber sind von Milchhoefen, denn dort werden die Kaelber schon einige Stunden nach der Geburt von ihrer Mutter getrennt, um deren Milch nutzen zu koennen. Die Kaelber auf den Fleischfarmen duerfen bei ihrer Mutter bleiben. Einmal natuerlich, weil man die Milch der Muetter nicht nutzt und sie auch nicht viel zu viel fuer ein Kalb produzieren (was die Milchkuehe tun). Dann, weil es niemandem Spass macht, Mutter und Kind direkt nach der Geburt zu trennen. Und schliesslich, weil es erwiesen ist, dass Kuehe, die als Kaelber bei ihrer Mutter waren, wesentlich schwerer und von guter Fleischqualitaet werden, was fuer Fleischrinder natuerlich wichtig ist.
Nach der ersten Fuetterung, gegen 8.00 Uhr, geht es auf die Weiden. Alle Kuehe in Neuseeland leben fast ausschliesslich von Gras, werden also draussen gehalten und muessen immer mit frischem Gruen versorgt werden. Das Gras kommt nicht zu den Kuehen, aber wenn die Kuehe koennen, kommen sie zum Gras! Also muessen sie einerseits davon abgehalten werden, alles kahl zu fressen und andererseits zu den richtigen Stellen bewegt werden. Das erreicht man mit elektrischen Zaeunen, die jeden Tag neu auf-, abgebaut und verschoben werden und das fuer mehrere Herden. Ich hab aufgehoert, meine Elektroschocks zu zaehlen, die nerven etwas, aber es werden auch weniger. Heute hatte ich glaub ich gar keinen!
Die Farm hat an die 70 Weiden, die je nach Groesse der Herde und der Weide bis zu fuenf Tage halten. Das Gras, das einmal abgefressen und zertrampelt wurde, braucht an die 40 (!) Tage, um voll nachzuwachsen. Im Moment haben wir hier regelmaessig nachts Frost, was um diese Zeit normalerweise nicht so ist und deswegen haben alle Rinderfarmer hier mehr oder weniger grosse Probleme, ihre Tiere satt zu halten.
Fleischrinder werden in der Regel ca. zwei Jahre alt, dann kommen sie direkt zum Schlachter. Ausser die Kuehe, die fuer die Zucht behalten werden, natuerlich. Aber auch die segnen irgendwann das Zeitliche und werden zu Mett, genau wie die Zuchtbullen. Die wiederum werden bis zu 7 Jahre alt, dann werden sie einfach zu gross und schwer, um eine Kuh zu begatten, ohne sie zu verletzen. Eine Ausnahme bildet 900, eine der ersten Kuehe, die Kathy gekauft hat. Sie ist mittlerweile 14 Jahre alt. Wenn sie stirbt, wird sie auf dem Farmgelaende begraben - ziemlich teure Angelegenheit und soweit ich weiss, ist das in Deutschland illegal.
Milchkuehe uebrigens leben so lange, wie sie genug Milch geben. Dann kommen sie ganauso zum Schlachter wie die Fleischrinder auch, nur, dass sie bis dahin jedes Jahr ein Kalb gebaehren und wieder verlieren und absolut ueberdimensionale Euter mit sich rumtragen muessen, ganz zu schweigen von der Prozedur des Melkens. Es ist also keinesfalls so, dass Milchviehhaltung in irgendeiner Weise humaner ist als Fleischviehhaltung. Das hat mir uebrigens keiner meiner Hosts gesagt, ich hab lediglich die Fakten erfragt.
Zurueck zum Tagesablauf: entweder brauchen wir bis 11.00 Uhr fuer den ganzen Kram oder ich mache bis dahin noch so Sachen wie Fenster putzen. Das hat das Haus auch wirklich noetig, um ehrlich zu sein. Ich weiss, mein Zimmer sieht in der Regel auch nicht gerade toll aus, aber ich koennte es nicht haben, im Wohnzimmer immer Waesche rumliegen zu haben und die Fenster und Glastueren im Vorraum, die ich geputzt habe... sagen wir mal, es hat den Raum ernsthaft aufgehellt und das waren nur die Innenseiten. Womit ich nicht sagen will, dass das Haus eklig ist oder so. Alle Sitzgelegenheiten sind frei und Kueche und Bad sind sauber. Aber ich wuerde es trotzdem ordentlicher haben wollen, glaub ich ;-)
Dann kommt die grosse Langeweile, denn bis 17.00 Uhr, wenn die zweite Kaelberfuetterung ansteht, hab ich im Prinzip nichts zu tun. Ich hab ein englisches Buch namens 'Snobs' angefangen, ziemlich witzig, aber ich verstehe nicht jeden Gag. Dann gibt es noch das Fernsehen, aber das neuseelaendische ist wirklich nicht besonders hochqualitativ und so unglaublich vollgestopft mit Werbung, dass es extrem nervt! Und an Handarbeiten hab ich nur Nadelbindekram dabei und ich hab meine Wolle schon beim ersten Host aufgebraucht fuer eine Muetze und ein Paar Socken (passen uebrigens beide perfekt). Zwischendurch mach ich mir ein Sandwich, Lunch und so. Ich hab jetzt schon zweimal Heidesandkekse gebacken, beim ersten Mal hat es nicht geklappt, da wir Low-Fat-Margarine nehmen mussten statt Butter. Eklig! Niemals machen! Die mussten wir wegschmeissen, die zweiten heute sind recht gut geworden.
Nach der zweiten Kaelberfuetterung gibt's Abendessen. Lesley kocht normalerweise, entweder asiatisch oder neuseelaendisch, ganz lecker. Allerdings finde ich die Warnung, dass das asiatische Essen 'sehr scharf' sein kann, hoffnungslos ueberzogen ^^ Ich werde mich aber hueten, das zu sagen, denn ich habe nicht den Eindruck, dass Lesley gerne andere Meinungen akzeptiert oder sogar ihre eigene Ansicht ueberdenkt. Ein Beispiel: sie meinte heute, dass es so einfach fuer Westeuropaeer sei, Englisch zu lernen, weil die Sprachen ja alle verwandt sind, weil sie ja alle vom Lateinischen abstammen. Ich sagte spontan, dass Deutsch definitiv keine romanische Sprache ist, aber sie wollte das einfach nicht hoeren und machte so ein 'dummes Kind, du weisst ja nicht, wovon du sprichst' Gesicht. Wer mich kennt, kann sich vorstellen, wie schwer es in solchen Momenten fuer mich ist, nichts weiter zu sagen. Wenn ich weiss, dass ich Recht habe, mag ich es gaaar nicht, wenn andere, die im Unrecht sind, sich immernoch fuer den wesentlich Schlaueren halten. Grr... womit ich nicht sagen will, dass ich schlauer bin als Lesley! Aber in dem Punkt hatte ich nunmal Recht! Wenn ich was falsch mache oder weiss, dann hab ich ja wirklich kein Problem damit, wenn mich jemand korrigiert. Wobei es auch dabei wieder auf den Ton ankommt. Eines Tages wollte mir Lesley Manieren beibringen und sagte mir, dass es in Neuseeland (und dieses 'in New Zealand' klang wie 'in der zivilisierten Welt') extrem unhoeflich ist, 'Hm?' zu sagen anstatt 'Excuse me?' oder 'Could you say that again?'. Okay, nichts gegen gute Manieren. Von jemandem, der mir diese beibringt, kann ich aber auch ein gutes Vorbild erwarten, oder? Stattdessen hab ich wiederum das Gefuehl, dass wir unterschiedliche Verstaendnisse von Gastfreundschaft haben. Z.B. kam sie einmal aus der Kueche mit einer Riesenportion Eis auf einem Teller, sagte 'Leider ist kein Eis mehr fuer dich da' und ass alles auf. Nicht, dass ich so furchtbar scharf auf Nachtisch war, aber das kann auch in Neuseeland nicht wirklich 'well-mannered' sein, oder? Erlebnisse in der Richtung, bei denen ich mich ziemlich vor den Kopf gestossen fuehle, hab ich hin und wieder mit Lesley, aber auch interessante Gespraeche.
Ein Frage an die Leserschaft: ich wurde gefragt, wie der Milchpreis in Deutschland so ist und als ich sagte, dass er wesentlich niedriger ist als in Deutschland und dass manche Milchbauern offenbar ernsthafte finanzielle Probleme hatten (haben?), zumindest laut Nachrichten, sagten mir die beiden, dass das gar nicht so sei, weil die Subventionen von der EU ja sooo hoch seien, dass sich in Deutschland (was impliziert: ' im Gegensatz zu Neuseeland') deswegen kein Bauer um seine Existena sorgen muesse. Ich haette in dem Moment gern ein bisschen diskutiert, aber ohne entsprechendes Hintergrundwissen hatte das ja keinen Sinn. Also, wer weiss mehr darueber?

Naja, das klingt jetzt alles so negativ, aber ich musste das nur mal loswerden. Im Prinzip ist es ganz nett und mittlerweile mag ich das Kaelberfuettern wirklich gern. Heute hab ich das zum ersten Mal ganz alleine gemacht und war ganz stolz, dass alles perfekt geklappt hat. Lob gibt's zwar nicht, ich muss immer raten, ob ich Sachen gut gemacht hab, aber ich bin zufrieden mit mir ;-) Nach kurzer Eingewoehung komme ich wirklcih gut klar mit den drei Hunden, den drei Katzen und den dreihundert Kuehen, der Umgang ist mittlerweile ganz normal und damit ziemlich stressfrei, man weiss einfach, was man zu erwarten hat und wird selbstbewusster gegenueber den Tieren.
Ich hab heute uebrigens etwas gemacht, was ich nicht von mir gedacht haette: Gummistiefel fuer ueber 40,- Euro gekauft :D Red Band von Skellerup, NZ Brand natuerlich und das perfekte Souvenir. Im Ernst, zu grosse Gummistiefel sind einfach furchtbar, meine Wanderschuhe wuerde ich mir mit der ewigen Feuchtigkeit des Grases ruinieren und es ist vermutlich nicht die letzte Farm, auf der ich arbeite. Diese Gummistiefel sind wirklich gut und alle Leute, die ich bis jetzt getroffen hab, die draussen arbeiten, hatten die an. Ich kann sie vermutlich mein Leben lang tragen ^^
Morgen Nachmittag kommt ein helpx-er aus Frankreich an, hoffentlich ist der nett! Ich freu mich aber, mit 21 Jahren ist er ja mein Alter und die Nachmittage werden bestimmt nicht mehr so langweilig. Ich soll ihm zeigen, wie das Kaelberfuettern geht, ich hoffe, sein Englisch ist gut... aber wenn sein Vater Kuehe hat, sollte er ja ungefaehr wissen, wie das funktioniert.

So, das war ein laaaanger Eintrag von mir. Mein naechster Host ist ein Homestay in Whangarei. Dort werde ich nach zwei Tagen Einfuehrung eine Woche auf ein Pferd und drei Hunde aufpassen. Ich freu mich schon! :-) Dahin gehe ich aber erst am 5.9., ist also noch hin. Ich bin auf jeden Fall froh, mich vorher nochmal wieder an grosse Tiere gewoehnt zu haben, sodass mich das Pferd nicht in Verlegenheit bringen kann - hoffentlich, eigentlich bin ich im Umgang mit den gutesten ja geuebt.
Ich meld mich bestimmt vorher nochmal!

PS: sorry, dass es immernoch keine Fotos gibt, die haben hier ein montaliches Datenlimit, deswegen darf ich nicht so viele hochladen und muss sorgfaeltig auswaehlen, das dauert ein bisschen...

1 Kommentar:

  1. Hey Juno, zu der Milchpreisdiskussion: Ein Bauer bekommt mit EU subventionen ca 40 cent pro Liter (so soll es laut EU sein) Fakt ist aber, dass in Deutschland 3 große Discounter (Lidl, Aldi und ich glaube Penny oder Netto) das Preisgefüge wahnsinnig drücken und durcheinanderbringen, so dass oftmals nicht mal 20 cent pro Liter übrig bleiben. Der Milchpreis variiert im allgemeinen sehr stark. Die Eu Subventionen gehen somit indirekt an die Superdiscounter! Hast ja damals im TV gesehen, als die Bauern demonstriert haben und die Milche lieber weggekippt haben als sie zu liefern. Danach kostete eine Tüte Milch bei Aldi für 2 Monate 10 cent mehr...danach wars wieder wie vorher. Ich glaube die EU buttert seitdem noch mehr in die Milchbauern. Aber ein Milchbauer kann von der Milch allein nicht leben. Er braucht zwingend eine andere Einkommensquelle (Felder,Biogas, Schweine, Hühner...irgendwas) und muss Mischkalkulieren.

    Viel Spass beim Diskutieren...mal sehen, ob Lesley ein wenig davon annimmt...wäre Dir zu wünschen. Ich fühle wirklich mit Dir.

    Grüße
    Nylette

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